Anfrage an Atis Herr Dr. D., Facharzt für Allgemeinmedizin, betreut eine 26-jährige Patientin mit Zufallsbefund Oxyuriasis (Wurmeier und Würmer im Stuhl nachgewiesen) in der Frühgravidität und fragt: "Ist eine anthelminthische Therapie erforderlich? Wäre eine Therapie mit Pyrviniumembonat oder Mebendazol möglich?"
Antwort von Atis Risikobeurteilung für Pyrviniumembonat: Pyrviniumembonat ist ein schon lang eingeführter Wirkstoff, bei dem sich bislang keine Hinweise auf negative Effekte in der Schwangerschaft ergaben. Bei der meist einmaligen Anwendung und der minimalen Resorption nach oraler Einnahme ist eine Gefahr für das Ungeborene unwahrscheinlich. Ausreichende systematische Untersuchungen zur Anwendung in der Schwangerschaft fehlen jedoch.
Risikobeurteilung für Mebendazol: Bei Ratten und Mäusen hat Mebendazol bei einmaliger oraler Gabe teratogene und embryotoxische Effekte hervorgerufen; bei Testung anderer Tierarten wurde kein schädigender Einfluss auf die Reproduktion festgestellt. Studienergebnisse über mehrere hundert im 1. Trimenon mit Mebendazol exponierten Schwangerschaften deuten nicht auf ein nennenswertes teratogenes/embryotoxisches Risiko beim Menschen hin. Zur Gabe von Mebendazol im 2. und 3. Trimenon liegen aussagekräftigere, größere Untersuchungen vor, welche keine fetotoxischen Wirkungen zeigten.
Aus diesen Risikobeurteilungen ergibt sich, dass eine stattgehabte Einnahme von Pyrviniumembonat oder Mebendazol unter Unkenntnis der Schwangerschaft weder einen Schwangerschaftsabbruch noch invasive diagnostische Maßnahmen rechtfertigt. Für die im aktuellen Fall vorliegende Frage einer geplanten Therapie in der Frühschwangerschaft genügt die alleinige Bewertung des Risikos jedoch nicht. Vielmehr muss der zu erwartende therapeutische Nutzen für Mutter und Ungeborenes grösser sein als der mögliche Schaden. Bei geringem Nutzen der Therapie einer asymptomatischen Oxyuriasis und nicht sicher auszuschließendem Risiko empfehlen wir, die Behandlung mit Pyrviniumembonat, in zweiter Wahl niedrigdosiertem Mebendazol, frühestens ab dem 2. Trimenon zu erwägen. Falls die Therapie während der Stillzeit erfolgen sollte, empfehlen wir, die Muttermilch während der Behandlung mit Pyrviniumembonat bzw. Mebendazol zu verwerfen. Die haftungsrechtlich entscheidenden Empfehlungen der Fachinformationen erlauben die Anwendung von Pyrviniumembonat und niedrigdosiertem Mebendazol in der Schwangerschaft nur bei dringlicher Indikation (Tabelle).
Kommentar
Die aktuelle Anfrage verdeutlicht die zwei unterschiedlichen Problemstellungen der medikamentösen Therapie in der Schwangerschaft: a) Risikobewertung nach Einnahme eines Medikamentes unter Unkenntnis der Schwangerschaft; b) Geplante Therapie bei bekannter Schwangerschaft.
Ein Medikament, welches bei Anwendung unter Unkenntnis der Schwangerschaft weder einen Schwangerschaftsabbruch noch invasive diagnostische Maßnahmen erfordert, ist nicht selbstverständlich auch für die geplante Therapie in der Schwangerschaft geeignet. Vielmehr ist eine Abwägung von Nutzen und Risiko in Abhängigkeit von Indikation und Schwangerschaftsstadium, die Berücksichtigung therapeutischer Alternativen und die Beachtung pharmakolegaler Aspekte (Fachinformation) erforderlich. Die gut dokumentierte Einhaltung dieser Empfehlungen und die Aufklärung der Patientin dienen nicht nur dem Schutz des Ungeborenen, sondern auch der Absicherung des Arztes: Das Basisrisiko für Fehlbildungen beträgt etwa 3-6 Prozent; nicht selten wird im Fall eines geschädigten Kindes die Frage des Kausalzusammenhanges zur vorangegangenen Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft und der Notwendigkeit der Arzneiverordnung gestellt.
Wirkstoff | Handelspräparat | Schwangerschaft | Stillzeit | Pyrviniumembonat | Pyrcon® | Pyrcon® darf nicht während | Es ist nicht bekannt, ob | | | der Schwangerschaft | in die Milch | | | angewendet werden, es sei | Pyrviniumhemiembonat | | | denn, es ist eindeutig erforderlich, | übergeht. Falls stillende | | | | z.B. weil bei gegebener dringender | Mütter mit Pyrcon® behan- | | | Indikation die Anwendung besser | delt werden müssen, sollte | | | dokumentierter Wirkstoffe nicht | die Milch während dieser | | | möglich ist. | Zeit verworfen werden. | | Molevac® | Molevac® darf nicht während der | Es ist nicht bekannt, ob | | | Schwangerschaft angewendet | Pyrviniumembonat in die | | | werden, es sei denn, es ist eindeutig | Milch übergeht. Falls | | | erforderlich, z. B. weil bei gegebener | stillende Mütter mit | | | dringender Indikation die Anwendung | Molevac® behandelt werden | | | besser dokumentierter Wirkstoffe | müssen, sollte die Milch | | | nicht möglich ist. | während dieser Zeit | | | | verworfen werden. | Mebendazol | Vermox® 500 mg | Während der Schwangerschaft darf | Während einer Behandlung | | Tabletten | Vermox® forte nicht angewendet | mit Vermox® forte darf | | | werden. | nicht gestillt werden. | | Vermox® 100 mg | Vermox® sollte nicht während der | Es ist nicht bekannt, | | Tabletten | Schwangerschaft, insbesondere | ob Mebendazol in die | | | während des ersten Trimesters, | Muttermilch übergeht. Daher | | | gegeben werden, es sei denn, dies | sollte während einer | | | ist nach ärztlicher Konsultation | Behandlung mit Vermox® | | | dringendst erforderlich. | nicht gestillt werden. | | Surfont® | Eine niedrigdosierte Anwendung | Während einer Be- | | | (weniger als 500 mg pro Tag) sollte | handlung mit | | | nur nach einer strengen Nutzen- | Surfont® sollte nicht | | | Risiko-Abschätzung erfolgen. Eine | gestillt werden, da | | | hochdosierte Gabe von Mebendazol | nicht bekannt ist, ob | | | ist in der Schwangerschaft | Mebendazol in die | | | kontraindiziert. | Muttermilch übergeht. |
Tabelle: Pyrviniumembonat und Mebendazol. Empfehlungen der Hersteller zu Schwangerschaft und Stillzeit gemäß Fachinformation
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Verfasser/in:
PD Dr. med.
Dirk O. Stichtenoth
Institut für Klinische Pharmakologie, Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Dr. med.
Kristine Chobanyan-Jürgens
Institut für Klinische Pharmakologie, Medizinische Hochschule Hannover
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Literatur
1. Schäfer, Spielmann, Vetter. Arzneiverordnung in Schwangerschaft und Stillzeit; 8. Auflage, Urban & Fischer Verlag, Stuttgart, 2012 2. Fachinformation; Fachinfo CD, BPI Service GmbH 2014 3. Torp-Pedersen A, Jimenez-Solem E, Andersen JT, Broedbaek K, Torp-Pedersen C, Poulsen HE. Exposure to mebendazole and pyrvinium during pregnancy: a Danish nationwide cohort study. Infect Dis Obstet Gynecol 2012; 2012: 769851. Epub 2012 Sep 18 4. De Silva NR, Sirisena JL, Gunasekera DP, Ismail MM, de Silva HJ. Effect of mebendazole therapy during pregnancy on birth outcome. Lancet 1999; 353: 1145-9 5. Diav-Citrin O, Shechtman S, Arnon J, Lubart I, Ornoy A. Pregnancy outcome after gestational exposure to mebendazole: a prospective controlled cohort study. Am J Obstet Gynecol 2003; 188: 282-5 6. Gyorkos TW, Larocque R, Casapia M, Gotuzzo E. Lack of risk of adverse birth outcomes after deworming in pregnant women. Pediatr Infect Dis J 2006; 25: 791-4
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