Als Seltene Erkrankungen (SE) werden in Europa solche Störungen klassifiziert, die höchstens eine von 2.000 Personen betreffen. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit zwischen 5.000 und 8.000 verschiedene SE abgrenzbar sind, davon etwa 80 Prozent als Folge einer genetischen Störung. Die große Gesamtzahl seltener Krankheiten, ihre jeweils geringe Prävalenz und die extreme Heterogenität erschweren eine spezifische Versorgung der Betroffenen. Die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Ärzten und Patienten einschließlich grenzüberschreitender Krankenversorgung ist eine wesentliche Voraussetzung zur Verbesserung dieser Situation [1]. Notwendigerweise muss hierzu eine gemeinsame Basis geschaffen werden, die eine einheitliche Anwendung genutzter Fachtermini beinhaltet.
Orphanet ist eine internationale Datenbank über Seltene Krankheiten (SE) und Arzneimittel für Seltene Krankheiten (Orphan Drugs). Informationen werden in Form eines Katalogs von Fachdienstleistungen bereitgestellt: Expertenzentren, Diagnostikangebote, Forschungsprojekte, klinische Studien, Netzwerke, Patienten-Register und Biobanken sowie Selbsthilfeorganisationen aus derzeit 38 Ländern. Alle Leistungen sind unmittelbar mit dem Verzeichnis der Seltenen Krankheiten assoziiert, so dass ein direkter Zugriff auf spezialisierte Angebote für eine vorab ausgewählte Krankheit ermöglicht wird. Orphanet bietet darüber hinaus eine umfangreiche Enzyklopädie über SE. Alle Informationen sind kostenfrei und in sieben Sprachen über die Website http://www.orpha.net abrufbar.
Im Zentrum der Orphanet-Datenbank steht das Verzeichnis der SE. Jede Krankheit besitzt eine "Identity Card", in der die nachfolgenden Informationen zusammengefasst werden: Krankheitsname und Synonyme, Prävalenz, Informationen über den Erbgang und Manifestationsalter. Jeder Krankheit wird eine Orpha-Nummer zugeordnet, die mit externen Terminologien oder Ressourcen assoziiert werden kann, darunter OMIM, ICD-10-, MeSH-, UMLS- und MedDRA-Kennziffern.
Die Orphanet-Enzyklopädie besteht aus derzeit 4.000 Kurzbeschreibungen, die in sieben Sprachen abrufbar sind, und 495 ausführlichen übersichtsartikeln zu 1.095 SE. Sie enthält des Weiteren 844 Artikel mit Leitliniencharakter zur Diagnose und Therapie von 2.014 SE, darunter - in Kooperation mit der AWMF - 84 deutsche Leitlinien für das klinische Management von 321 SE. Es finden sich ferner 5.400 Links zu externen Internet-basierten Informationsquellen über SE.
Orphan Drugs können über den Produktnamen oder über die Krankheit, für die das Arzneimittel hergestellt wurde, abgerufen werden. Der Produktname umfasst den Handelsnamen, den Wirkstoffnamen, die chemische Bezeichnung, die INN-Bezeichnung oder den Code-Namen. Dieser Teil der Datenbank wurde an der EMEA (vom Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden) initiiert.
Der englischsprachige Newsletter "OrphaNews Europe" der Rare Disease Task Force (RDTF) informiert über neu entdeckte Krankheiten und identifizierte Gene, über Ergebnisse translationaler Forschung, gesundheitspolitische Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten und Europa, Informationen zu Forschungsförderung, Neuigkeiten von und über Patientenorganisationen, Kongresse und sonstige Veranstaltungen.
Die Datenerhebung und Validierung erfolgt jeweils auf nationaler Ebene (siehe Tabelle). Alle Orphanet-Teams befolgen die Grundsätze einer von Orphanet definierten Qualitätscharta. In jedem Land unterstützt zudem ein wissenschaftlicher Beirat das nationale Team bei der Validierung der Daten, bevor diese in das Angebotsverzeichnis aufgenommen werden. Alle Informationen werden aktualisiert, sobald der Erkenntnisfortschritt dies verlangt, zumindest einmal pro Jahr. Orphanet-Deutschland ( http://www.orpha.net/national/DE-DE/ index/startseite/ ) ist eine Arbeitsgruppe am Zentrum für Seltene Erkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die deutschen Einträge in der Orphanet-Datenbank stellen die Informationsbasis des im Jahr 2013 verabschiedeten Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ( http://www.namse.de ) dar. In dieser Eigenschaft ist Orphanet-Deutschland an den NAMSE-Projekten se-atlas (www.se-atlas.de) und dem Zentralen Informationsportal für Seltene Erkrankungen (www.portal-se.de) beteiligt. Orphanet-Deutschland ist Projektpartner des DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information). Ziel des Projekts ist eine verbesserte Integration von seltenen Krankheiten in die deutsche Version der ICD-10 (ICD-10GM) durch Hinzufügung der spezifischen Orpha-Nummer in die ICD-10-GM.
Orphanet wird täglich von 40.000 Nutzern aus über 150 Ländern besucht. In der Mehrheit der Besucher handelt es sich um Ärzte und Patienten, die hier - oft gemeinsam - nach Informationen suchen.
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Verfasser/in:
Kathrin Rommel
MHH
Mareike Derks
MHH
Anna Dierking
MHH
Ulrich Langenbeck
Universitätsklinikum Frankfurt/M.
Elisabeth Nyoungui
MHH
Prof. Dr. med. Dr. m
Jörg Schmidtke
Zentrum f. seltene Erkrankungen, Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
schmidtke.joerg@mh-hannover.de
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Literatur [1] Aymé S, Schmidtke J (2007): Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 50(12):1477-83 Orphanet-Deutschland ist Mitveranstalter des Symposiums zum Tag der Seltenen Erkrankungen 2016 am Montag, 29. Februar 2016 von 11 bis16.30 Uhr, Hörsaal H / Gebäude J1, Campus MHH. Für diese Veranstaltung werden von der Ärztekammer Niedersachsen 5 Fortbildungspunkte vergeben. Das Programm finden Sie hier: http://www.orpha.net/national/data/DE-DE/www/uploads/RDD2016Programm.pdf |
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